Susanne Isabel Bockelmann - Bilder der Sehnsucht und des Widerstreits |
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Druckgrafik
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Volkhard BöhmSusanne Isabel Bockelmann - Bilder der Sehnsucht und des WiderstreitsKunst ist doch nichts als der Ausdruck unserer Träume. (Franz Marc) "Wölfe" aus der Serie "Bären und Pferde", ein Linolschnitt von 1997, groß wie ein Fries von fast einem Meter Höhe und zweieinhalb Meter Breite: Eine Frauenfigur, schutzlos, nackt, in der Mitte, sitzend, ekstatisch verrenkt, mit nach hinten gedrehtem Kopf, nach oben blickend, die Hände und Arme weit ausgestreckt, Gesicht, Brüste, Arme bilden eine Linie aus dem Bild heraus nach oben, eine Geste, flehend?, bittend? Rechts ein Wolf, die Linie der Frau nach oben aus dem Bild heraus wird parallel aufgenommen im Kauern des Wolfes, nur führt sie nach unten zwischen die Schenkel der Frau, links ein schreitendes Wesen, sphinxförmige Gestalt zwischen Pferd, Wolf und/oder Fuchs, scheinbar harmlos, wenn da nicht ein fünftes Bein oder der Phallus wäre, beide Tiere werden mit der Frau verbunden, je durch zwei nahezu runde Flächen, rechts eher wie eine Blase.
Das Bild ist voller Metaphorik, wie fast alle Bilder Susanne Bockelmanns, Mensch und Tier, die Symbole sind, sind untrennbar miteinander verbunden, die kreisrunden Flächen stehen dafür. Der sprungbereite Wolf vor dem Schoß der Frau steht in Mythologie und Traumdeutung mit seiner Wildheit für aggressive Triebwünsche, während das ruhig schreitende Pferd-Wolf-Wesen neben dem ihm zugewanden Kopf der Frau auf die geistige Zähmung oder Abwehr dieser animalischen Triebenergien und dem Verlangen nach einem beherrschten, geordneten Innenleben stehen kann. Dieses Bild kann so Sinnbild sein für die Spannung des Menschen zwischen Lust und Bedrohung, zwischen Hingabe und Beherrschung. Die Bockelmannschen Metaphern und manchmal auch die Figuren sind so nie ganz eindeutig, oft bleibt ein Rätsel bestehen, voller Überraschungen und Sehnsüchten wie das Leben selbst. Die Künstlerin, in Hameln an der Weser geboren, studiert von 1979 bis 1984 an der Fachhochschule für Gestaltung, zuerst in Nürnberg, dann in Hamburg. Sie beginnt ihren Weg mit einer realistisch-figürlichen Kunstauffassung. In ihrer Diplomarbeit versucht sie mit Hilfe der Zeichnung die Schicksale von Obdachlosen in deren Physiognomien zu erfassen. Dabei stößt sie an Grenzen, die sie nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchen lässt. Erfahrungen und Anregungen aus der abstrakten Kunst der klassischen Moderne führen zu einer extrem veränderten Ausdrucksweise. Fast orgastisch stürzt sie sich in einen Rausch der Farben und Formen. Viele Gemälde entstehen, in denen einzelne Formen in reiner, oft ungemischter, kontrastierender Farbigkeit durcheinander wirbeln oder nebeneinander stehen. Es sind abstrakte Formen, die Assoziationen an bekannte Motive aufkommen lassen, ein Boot etwa. Mit dem Wechsel zur Graphik ab 1984, in der Symbiose von realistischer Figürlichkeit und formaler Abstraktion, also in der Zusammenführung ihrer bisherigen künstlerischen und gestalterischen Erfahrungen und in der Technik des Holz- oder Linolschnitts sucht und findet sie augenscheinlich die Ausdrucksmittel und -möglichkeiten, mit denen und in denen sie am besten ihre künstlerischen Intentionen verwirklichen kann. Doch dem Reiz der Abstraktion bis zur Gegenstandslosigkeit bleibt sie vor allem in kleinformatigen Hochdrucken mit sich deckenden oder transparent überlagernden Formen treu. Diese Blätter haben eine beeindruckende atmosphärische Tiefe. Formen und Figuren stehen flächig, groß im Bild, die Tiefendimension wird geopfert. In den Farbdrucken prallen satte Farben aufeinander, lindernde Übergänge sind nur dort, wo sich überschneidende Formen lasierend übereinander legen. Die Gesichter sind meist groß, rund, in ihrer Vereinfachung maskenhaft, aber dadurch von großer Allgemeingültigkeit, die ekstatischen Körper in uneingeschränkter Hingabe mit sonderbaren Verrenkungen und Anwinkelungen. Dazu kommen groß aufgerissene Augen und hervorgehobene Hände mit gespreizten Fingern, auffällige Bildelemente, die für Aufmerksamkeit, Abwehr oder Erflehen stehen. Alles wirkt dadurch elementar und urtümlich und selbst die kleinste Form wird so monumental, wie Mensch- und Tierornamente auf Steinzeichnungen an Höhlenwänden vergangener Zeiten. Bestätigend waren sicher später die Kenntnis der expressionistischen Holzschnittkunst, auch die knappen Formen Matissescher Scherenschnitte und die Symbolträchtigkeit und Abstrahierungen des deutschen HAP Grieshaber. Besonders Letzterer steht ihr inhaltlich und formal nahe. Sie liebt die einfache Form, die sich erst in Gedanken und dann mit der scheinbar denkend fabulierenden Hand mit Stift und Messer entwickelt. So bleibt ihren Formen bei aller Monumentalität eine Leichtigkeit erhalten. Ihre Arbeitsweise ist spontan und kontrolliert zugleich. Das Bild entsteht in Gedanken, wird direkt auf die Holz- oder Linolplatte gezeichnet, beim Schneiden bewahrt und verändert, Formen und Flächen werden zusammengezogen und komprimiert, Details werden eingefügt oder weggelassen. Dieser Prozess wird erst während des Hand-Drucks, mit der möglichen Modulation der Farbe, durch stärkeren oder schwächeren Druck eines Falzbeins, dem Griff ihres Holzschnittmessers oder dem Handballen, abgeschlossen. Vor allem wenn man ihre großformatigen Blätter sieht, weiß man, dass dieser Schöpfungsakt nicht nur ein geistiger, sondern auch ein körperlicher Kraftakt ist. Es dominiert die große Form und oft die große Fläche, aufgerissen durch zarte und scheinbar zaghaft gezeichnete Konturlinien, die die Figuren zum Leben bringen. Modelliert werden nur teilweise umliegende Flächen durch Stege, die vom parallelen Schneiden stehen bleiben. Beim Farbdruck überlagern sich additiv verschiedene Motive. Die Farbe wird durch den Druck fein variiert eingesetzt. Ihre Reinheit und ihren Kontrast ist der Arbeitsweise in ihrer Malerei ähnlich Wie auch das oft collageartige Zusammenfügen der Formen und Figuren aus dieser Zeit bewahrt wird. So ist sie in der Linienzeichnung und in der Form, wie in der Farbwahl ganz Graphikerin, während im oft zart-sensiblen Abdruck der Farbflächen malerische Intentionen durchscheinen. Als Druckträger verwendet sie Linoleum, Spanplatten und Holzbretter, oft noch mit Rinde. Die Holzstöcke benutzt sie beidseitig. Gedruckt wird fast nur in den kleinformatigen Blättern auf Papier, ansonsten auf weißem Vlies-Papier und selten auf Stoff. Es entstehen Einzelblätter, keine vorgeplante Folgen, thematisch Ähnliches wird im Nachhinein zusammengefasst. Schon in den meist kleinformatigen abstrakten Schnitten, in denen sich die Formen auch collageartig überlagern, geht sie über den rein ästhetisch-gestalterischen Anspruch hinaus. Oft tauchen Formen auf, die metaphorische Assoziationen aufzeigen. Die Bootsform etwa, die als Boot oder Schiff Metapher für Sehnsucht und Hoffnung, aber auch für Abschied und Wiederkehr ist.
Das Bemerkenswerteste an Susanne Bockelmanns größeren Graphiken ist wohl ihre eigenständige Ikonographie, die im überlieferten Kulturgut verankert ist, die sich aus der Mythologie verschiedener Völker und Kulturen ("La Serenissima, zu Venedig" und "La Zia di Venere, zu Venedig", zwei Linolschnitte zu Venedig, 1998 oder Innuit, Linolschnitt, 1997), aus der Religion (Zu dem Thema "Christus", 1998; Serie "Bildstöcke - Clara von Assisi I + II", 2000) aber auch aus Märchen und Fabeln speist. Immer ist sie sparsam in der Motivik. Wichtiger noch werden zunehmend die Beziehungsbilder von Mensch und Tier. Während sie die Tierfiguren oft statuarisch auffasst, sind ihre kauernden oder ekstatisch gereckten und verrenkten Frauenfiguren, expressiv, vor allem in der Gestik. Die Figuren bleiben zwar zeichenhaft, werden aber voluminöser. Die Formate werden größer. Die Monumentalität der Figuren bekommt nun auch das monumentale Format. Und trotzdem bleibt in dieser Monumentalität eine lyrische Grundstimmung und eine oft mystische Rätselhaftigkeit. Zur Mythologie kommen in diesen Blättern ganz offensichtlich Bilder aus der Welt des Traumes. Gemeinsam haben Märchen, Fabeln, Mythen und die Traumwelt, dass sie sich aus Bewusstem und Unbewusstem speisen, die sich wechselseitig bedingen und durchdringen. Die Tiere - zuerst ist es der Fuchs (Serie "Füchse und andere Wesen", 1993, dann kommt der Wolf, nach einer Kanadareise ist es der Bär (Bärenserie, 1996), das Pferd, der Elefant (2000) und auch die Eule und der Vogel - werden hier wohl mehr als über die Fabel, das Märchen oder die Mythologie aus der Welt des Traumes inspiriert. Es sind in der Regel Tiere, bei denen sich Wildheit, Kraft und Stärke aus der Mythologie (Wolf, Pferd, Bär, Elefant) mit animalischen, sexuellen Triebenergien (Wolf, Pferd, Elefant) aus der Traumdeutung verbinden. Und auf der anderen Seite ist es die nackte Frauenfigur, oft voll praller Sinnlichkeit bis zur vitalen Sexualität, hingelagert, vielleicht auch hingegeben, zusammengekrümmt, ekstatisch verrenkt hin zum Tier. Das fällt auf in diesen Blättern: Männliche Stärke und weibliche Sinnlichkeit im Kontext und die Sehnsucht nach Liebe, nach körperlicher Liebe dazwischen und dem eher geistige Widerstand gegen diese elementaren Formen der Liebe. Denn auch Eule und Vogel sind in der Traumdeutung Symbole für diese Liebe. Ab etwa 2000 kommt es zu einer Reduzierung in der Motivik, die Welt des Traumes wird verlassen, der mythische Bezug bleibt, mit dem sie frei umgeht. Eine lyrische Grundstimmung nimmt zu, zu Lasten der vorher durchaus vorhandenen Epik. Und mir scheint, in die Motivik kehrt ein grüblerischer, existenzialistischer Zug ein. Oft verschmelzen die Figuren, inliegende Figuren verbergen oder offenbaren sich in der großen Form, herausgeschält aus der lang gestreckten Form des Holzbrettes ("Europa im Schatten des Stieres", 2000 oder in dem abgebildeten Holzstock aus der Serie "Bildstöcke", 2000). In ihren hochformatigen Blättern, geschnitten aus bis übermannshohen Brettern, türmen sich die Formen und Figuren nicht nur übereinander "bis in den Himmel", sie scheinen sich auch räumlich in die Tiefe zu staffeln. Die Figuren recken sich, die Füße stoßen sich ab, die Arme und Hände versuchen nach oben das Bild zu sprengen. In den Querformaten werden die menschlichen Figuren eingebunden in assoziierende Tierfiguren. Sehnsucht überall, nach Freiheit, aber auch nach Geborgenheit, nach unbändiger Liebe. Und es ist diese in der Reduzierung allgemeingültige Formensprache, die die individuelle Ikonographie und Motivik wieder zu einer allgemeingültigen Aussage führt. Susanne Isabel Bockelmann schafft in überzeugender Weise Bilder vom ewigen Mysterium des Menschen, seiner Zerrissenheit zwischen Verlangen und Selbstbestimmung und des ständigen Versuches der Befreiung aus animalischen, elementaren Zwängen in einer mythischen Wirklichkeit, frei von jeglicher Moralisiererei. Es sind damit Bilder des an sich selbst leidenden Menschen und seinem ewigen Streben nach Selbstbefreiung und Bilder, in denen Pathos und Zeichenhaftigkeit in gültiger Form zusammengeführt werden. [...]
Der Beitrag von Volkhard Böhm ist 2004 erschienen in der Zeitschrift |
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